Tag 1: Parkplatz Sulaoja – Njávgoaivi (18 km)
Am späten Donnerstagvormittag erreichen wir mit dem Auto den Parkplatz des Kevo Strict Naturereserve: Der Kuivi-Trail liegt vor uns. Der Plan: Die 86,5 km mit drei Übernachtungen, also in vier Tagen zu laufen – mit dem Joker in der Hinterhand auch eine vierte Nacht und einen fünften Tag zu brauchen.Der Kuivi-Trail verläuft zunächst gleich mit dem Kevo-Trail über ein schmales Stück Land zwischen zwei Seen bis zur Ruktajärvi-Hütte. Während der Kevo-Trail dann jedoch „nur“ durch den Kevo-Canyon verläuft, nimmt der Kuivi-Trail mehr Fjelllandschaft mit und macht einen Abstecher zum Gipfel des Kuivi. Berglandschaft, ein Gipfel und dann eine Schlucht – das scheint uns ein abwechslungsreicher Trail zu werden.

Übersichtskarte: Der Kuivi-Trail beschreibt die Schlaufe und führt dann zurück zum Ausgangspunkt
Guter Stimmung und voller Erwartung laufen wir gegen halb zwölf los. Das Wetter meint es erstmal nicht so gut mit uns. Bald müssen wir unseren Regenschutz überwerfen, und als wir auf dem Abschnitt zwischen den Seen über den erhöhten Kamm laufen (ein Abschnitt, auf den ich mich sehr gefreut hatte), zerrt der Wind an uns und die Sicht ist nicht besonders optimal. Trotzdem finden wir etwas Windschatten um eine erste kleine Pause zu machen. Dabei klart es sogar hin und wieder etwas auf.

Blick auf den Nuorttajávri
Der Wolkenhimmel ist nun rissig, aber die Sonne kann nicht beständig hindurchscheinen. Wir steigen irgendwann hinab von dem Kamm und auf einer Seite der Landzunge am Wasser entlang. Der Weg ist sandig, der Wind wühlt Wellen auf dem See auf, die harsch gegen das Ufer branden. Man fühlt sich fast wie an der See. Dann erreichen wir die offene Wildnishütte am Ruktajärvi. Wir sind neugierig und erkunden den Platz: Es gibt eine Schlafhütte, ein Holzlager, ein kleines Müllhäuschen, eine Komposttoilette und ein offenes Shelter.

Shelter am Ruktajärvi
Im Windschutz des Shelters können wir etwas auruhen, die Sonnenstrahlen genießen, die gerade zu uns durchdringen, auf den ruhigen, unbewegten See blicken und unseren Gedanken nachhängen. Die ersten 12km liegen nun hinter uns.

Blick auf den Ruktajärvi
Als die Sonne wieder hinter Wolken verschwindet, wird es Zeit wieder loszuziehen: 6km trennen uns nun noch von unseren heutigen Übernachtsungsort, der Hütte in Njávgoaivi. Zunächst führt der Weg noch sandig und mit Wurzeln der Birken neben uns durchsetzt durch einen lichtes Birkenwäldchen. Dann entlässt uns das kleine Wäldchen in die offene Fjelllandschaft. Wieder zerrt der Wind an uns. Die Sami, Volk der Sonne und des Windes, das ergibt plötzlich sehr viel Sinn für mich. Mein Rentierhund scheint in seinem Element, eifrig und aufmerksam schreitet Frau Vierpfote voran. Dann haben wir die Hütte erreicht, es ist erst 17.15 – ein langer Abend liegt vor uns. Wir machen es uns erstmal in der Hütte gemütlich und sind froh, hier Schutz vor der Kälte draußen zu finden.

Njávgoaivi open wilderness hut
Wir beobachten auf dem Thermometer vor dem Hüttenfenster, wie die Temperatur langsam sinkt. Irgendwann sind es noch weniger als vier Grad. Wir sind müde, es gibt nichts mehr zu tun, wir gehen früh zu Bett.
Tag 2: Njávgoaivi – Fiellogahjohka (38,5 km)
Wir erwachen früh, draußen wird es hell. Als wir um 7.30 loslaufen ist der Morgen noch etwas neblig, aber die Luft klar. Bald kommen wir zu einer ersten Stelle, an der wir ein Gewässer passieren müssen. Ruhig liegt plätschert der Njávgoaijohka vor uns seinen Flusslauf entlang.

erste Gewässerquerung durch den Njávgoaijohka
Der Fluss ist zwar weder besonders breit noch tief, doch genug Trittsteine für trockene Füße gibt es nicht. Ich ziehe also meine Schuhe aus und wechsel zu Trakkingsandalen. Herr Zweibein läuft in seinen Barfußschuhen einfach so durch den Fluss. Das Wechseln der Schuhe ist irgendwie nervig zeitraubend, wie ich finde. Es will nicht so richtig warm werden an diesem Morgen und so suchen wir, als wir nach 7,5km bei Áhkojoga gámma angekommen sind, in einem Erdhügel-Shelter Zuflucht und zünden uns drinnen ein Feuer ein.

Shelter bei Áhkojoga gámma
Als wir weiterlaufen, klart es immer mehr auf. Unser Weg führt jetzt steil hinab zum Čeavrresjohka. Ich entscheide mich, diesmal nur die Socken auszuziehen. Das geht immerhin schneller. Nach etwas sumpf und recht flachen Bachläufen, führt der steinige Weg nun kilometerweit über offene Fjelllandschaft und kleinere Geröllfelder. Dann zeichnet sich die Kuivi Hütte am Horizont ab. In der Weite der Landschaft ist sie von weithin sichtbar. Wir passieren auf Steinen den seichten Kamajohka und haben um 13.00 die Hütte erreicht. Nun liegen die ersten 17,5km des Tages hinter uns. Bei einer Tasse Tee und ein paar Snacks reden wir über den weiteren Tag. „Wie weit ist es denn noch zur nächsten Hütte?“, frage ich Herrn Zweibein. „Moment, ich schau mal nach. Hm, so zwischen 12 und 14 km.“ „Es ist ja noch so früh, und heute steht ja nur noch der Gipfel des Kuivi auf dem Plan. Das sind 8km, da brauchen wir nur noch 2 Stunden für.“ „Wir können den Gipfel auch auslassen und zur nächsten Hütte laufen…“ Als Herr Zweibein in meine Augen blickt, merkt er jedoch, dass das nicht meine Hintergedanken waren: „Ne, also Hütte oder Berg.“, sagt er. „Na, dann Berg, immerhin ist der Trail nach dem Berg benannt, es ist bestimmt schön da oben.“ Eine gemütlichen Mittagspause und viele Steine später stehen wir dann auch gegen 15.00 auf dem Gipfel des Kuivi.

Auf dem Gipfel des Kuivi (641m)
Von hier oben genießen wir eine Rundumsicht über die Weite Lapplands. Hier ist nichts, außer Bergen, Hügeln, ein paar Farbtupfern. Keine Stadt, keine Autos, kein Mensch weit und breit. An diesem Tag haben wir in der Nähe des Flusses eine Wanderin getroffen, sonst sind wir bisher niemandem begegnet – abgesehen von einigen Rentierherden. Die ruhige Stille des weiten Landes beeindruckt.

Blick in die Weite
Als wir wieder hinabsteigen, kommt wieder ein Gespräch auf. „Du, ich hab überlegt, wenn wir jetzt noch den ganzen Nachmittag Zeit haben, dann versuch ich mal in dem Fluss bei der Hütte baden zu gehen. Danach kann man ja in der Hütte wieder aufwärmen“, sage ich zu Herrn Zweibein. „Hm, ich hab gerade etwas ganz anderes überlegt“, kommt es zurück, „wir könnten ja vielleicht doch zu der nächsten Hütte laufen, immerhin wird es gerade mal 16.00 Uhr sein, bis wir wieder an der Hütte zurück sind und was machen wir dann den ganzen Abend? Der war gestern schon so lang und da waren wir eine gute Stunde später an der Hütte. Außerdem: Die Sonne scheint und wir haben bestes Wanderwetter“. Wir wägen die Fakten ab: Wenn wir wieder an der Hütte sind, liegen 25,5 km hinter uns, 13 müssten wir zur nächsten Hütte noch laufen. Das hieße an diesem Tag 38,5 km zu laufen… Wieder an der Kuivi Hütte entscheiden wir: Wir werden laufen. Wir schultern also wieder unsere Rucksäcke, die wir für den Hin- und Zurückweg auf den Berg in der Hütte gelassen hatten, passieren wieder den Kamajohka und ziehen los.

Blick von der Kuivi Hütte über den Kamajohka
Die Nachmittagssonne meint es gut mit uns und taucht die Landschaft um uns in ein zart-goldenes, verträumtes Licht. Der Weg wird irgendwann sumpfiger, doch nette Menschen haben den Sumpf mittels Planken gut passierbar gemacht. Das tut auch mal gut, nicht auf Füße und Weg schauen zu müssen, sondern einfach vor sich hin laufen zu können.

Sumpflandschaft in spätem Nachmittagslicht
Fjelllandschaft und Birkenwäldchen wechseln sich ab. Als wir uns dem Punkt nähern, an dem wir auf den Kevo-Trail stoßen, wechselt die Landschaft jedoch etwas: Immerwieder geht es steil in Täler hinunter und auf der anderen Seite ebenso steil wieder hinauf. Als die Abendsonne an Kraft verliert und für uns erstmal hinter einem Bergrücken verschwindet, treffen wir auf den Kevo-Trail. Nun sind es noch 3km bis zu der angesteuerten Hütte. Wir schlagen ein rasches Tempo an, wir wollen nur noch ankommen. Doch als wir eine Wandererin treffen, merken wir: Diese Hütte hat nichts mit den ruhigen, einsamen, bisherigen Hütten zu tun. Und als wir dann nach einem knackigen, steilen Abstieg, an der Hütte ankommen, treffen wir mehr auf einen belebten Rast- und Zeltplatz. An einen Platz in der Hütte ist gar nicht erst zu denken. Ganz hinten in dem Tal am Fiellogahjohka finden wir einen Zeltplatz. Wir zünden erstmal ein Feuer an, wärmen und trocknen uns. Trotz einigen Planken sind etwas nasse Füße an den sumpfigen Stellen nicht zu vermeiden gewesen.

wärmendes Feuer
Immerhin können wir unser Zelt auf Paletten aufbauen, die es hier zu diesem Zweck gibt. So haben wir einen federnden Untergrund und keine bohrenden Wurzeln oder Steine im Boden. Als wir uns in unsere Schlafsäcke kuscheln, rauscht im Hintergrund kontinuierlich der Wasserfall, zu dessen Fuße wir uns befinden.
Tag 3: Fiellogahjohka – Parkplatz Sulaoja (30 km)
Nach einer eisigen Nacht kommen wir diesmal nicht ganz so früh in die Gänge wie am Vortag. Erster Tagesordnungspunkt: Den Fiellogahjohka queren. Bis fast zu den Knien reicht uns das kalte Wasser. Die Schuhe zu wechseln habe ich mir diesmal gespart. Die Sonne scheint und die Schuhe sind recht schnell trocken zu laufen. Auf die Flussquerung folgt ein zackiger Anstieg, dann können wir einen Ausblick auf den Wasserfall und die andere Flusseite, auf der das Lagerareal liegt, genießen.

Blick auf den Fiellogahjohka, seinen Wasserfall und die andere Flussseite (Lagerstätte)
Wir laufen weiter flott: Einerseits um die Schuhe zu trocknen, andererseits um die vielen Menschen zu passieren. Wir überholen zwei tschechische Wanderer, mit denen wir am Vortag kurz geredet hatten. „Na, heute wieder 38km?“, fragt die Frau. „Ne, heute nur 28“, antworten wir. Die Frau nimmt das zur Kenntnis und sagt zu ihrem Begleiter gewandt: „Die sind wahnsinnig“. Der Weg führt zunächst immer wieder in kleine Täler und auf der anderen Seite wieder hinauf. Dann laufen wir durch Birkenwald direkt an der Schlucht des Kevo-Canyon entlang. Die Sonne scheint. Es ist fast schon warm. Dann führt er Weg wieder in offene Fjellandschaft. Das bedeutet wieder mehr Steine als festen Boden unter den Füßen. Immerhin haben wir aber jetzt schon länger wieder unsere Ruhe. Eigentlich wollten wir die ersten 18km des Tages quasi am Stück durchlaufen, und dann eine lange Pause bei Ruktajärvi einlegen – der Hütte von der aus, der uns schon bekannte Weg wieder zum Parkplatz zurückführt. Doch das war etwas zu vermessen geplant und so machen wir an einer geeigneten Stelle eine kurze Mittagsrast.

kleine Mittagsrast an einem Fluss durchs Fjell
Nach der Rast kommen wir auch wieder zügiger voran. Endlich können wir das Fjell hinter uns lassen und bekommen wieder mehr Boden unter den Füßen zu spüren. Dann geht der Weg wieder etwas abwärts und die Landschaft ändert sich noch mehr: Es wird wieder farbiger, wir laufen auf sandigem Boden zwischen Birken. Ein kleiner steiler Abstieg, dann kommen wir an dem Zeltplatz Geavvogeašláttu vorbei. Der beschaulich zwischen zwei kleinen Seen liegt, die mit einem Bachlauf verbunden sind.

am Zeltplatz Geavvogeašláttu
Nun sind es noch 3km über leicht zu laufenden, meist sandigen Boden, dann haben wir Ruktajärvi erreicht. Nun haben wir über die Hälfte der Tagesetappe geschafft. Von hier sind es „nur noch“ 12km bis zum Auto zurück. In der Hütte ist niemand, nur das Shelter ist besetzt. So kehren wir in die Hütte ein und machen erstmal ein Feuer im Kamin an. Dann erfrischen wir uns bei vielleicht 8 Grad Außentemperatur im nahegelegen See und wärmen uns anschließend am eingeheizten Ofen wieder die Füße. Außerdem finden wir Zwiebeln und Kartoffeln in der Hütte. Aus denen zaubern wir uns nun Bratkartoffeln: Kokosöl habe ich sowieso zur Hautpflege dabei, jetzt kann es als Bratfett dienen. Salz fehlt allerdings, wir nehmen dafür einfach gesalzene Erdnüsse.

Bratkartoffeln aus Hüttenfunden
Gestärkt, erfrischt und erholt ziehen wir nach dieser ausgiebigen Rast wieder los. Das letzte Wegstück erscheint uns nun als ausgiebigerer Nachmittag-/Abendspaziergang. Wir laufen weiter auf Sandboden den See entlang, dann führt uns eine kleine kurze Treppe wieder auf den langen Kamm zwischen den beiden Seen.

„Aufstieg“ auf den Kamm zwischen den Seen
Der Weg über den Kamm verläuft in sanften Wellen über sandig-steinigen Untergrund. Diesmal ist die Sicht ist gut: Das Wasser glitzert zu beiden Seiten des Kammes unter uns. Die tiefstehende Sonne fällt durch die Birken, und verzaubert mit ihrem besonderen Licht den weiteren Weg.

Birkenwäldchen in später Nachmittagssonne
Als die Sonne ihr letztes, schönes Abendlicht zur Erde wirft, sind wir wieder am Parkplatz angekommen. Plötzlich haben wir es geschafft: 86,5 km Weite und Wildnis Lapplands liegen hinter uns. Plötzlich haben wir wieder ein Auto, nicht nur einen Rucksack. Das fühlt sich noch ein wenig unwirklich an, und auch, wenn wir alles gelaufen sind, müssen wir erst richtig ankommen.

zurück am Parkplatz zum Kevo Nature Reserve